Meine längste Bahnreise -- Shiretoko-Shari nach Yonezawa 2.-3.5.2016
Gerade hatte ich noch den verschneiten Nationalpark der fünf Seen besichtigt und verbrachte meine zweite Nacht in dem hübschen Hotel in Shiretoko-Shari, da standen in der Golden Week hochinteressante Matsuri auf dem Kalender – aber natürlich nicht im hintersten Winkel von Hokkaido, sondern in diesem Fall mitten in Tohoku, in der Stadt Yonezawa in Yamagata.
Von Shiretoko-Shari wieder wegzukommen, gibt es zwei Wege: entweder so, wie ich gekommen war, zunächst die Nordküste entlang und dann über Asahikawa, oder die Halbinsel zunächst nach Süden durchquerend nach Kushiro, und von dort westwärts. Entfernungsmäßig gibt es sich nicht viel, und da ich die nördliche Strecke schon von der Hinfahrt kannte, wollte ich natürlich etwas anderes sehen.
Hier eine Landkarte zur Orientierung:
Nach Kushiro mit der JR Senmo Line stehen vormittags gerade mal zwei Züge zur Auswahl: 07:26 oder 11:17, der nächste fährt dann um 15:58 und zwei weitere folgen abends. Gepackt und verpflegt um 07:26 losfahren, das war mir zu hektisch, also musste es der 11:17 sein, der Kushiro fahrplanmäßig um 13:33 erreicht. Von dort weg gibt es Limited Express Verbindungen bis zum insgesamt 693 Kilometer entfernten Shinkansen-Bahnhof Shin-Hakodate-Hokuto. Mit dem Shinkansen geht es dann durch den Seikan Tunnel nach Shin-Aomori und weiter bis Fukushima, wo der Yamagata-Shinkansen nach Yonezawa abzweigt. Die Endpunkte meiner Fahrt trennen stolze 1322,9 Kilometer.
Von dem 11:17 Zug ausgehend, würde ich es am gleich Tag gerade nach Shin-Aomori schaffen, und könnte am nächsten Morgen dann von dort weiterfahren. Hätte ich den 07:26 genommen, wäre ich gegen 23 Uhr nach Yonezawa gekommen, aber dann müsste ich eben dort übernachten, das ergibt also keinen wesentlichen Vorteil. Im Gegenteil: in der Golden Week, am Vorabend eines spektakulären Matsuri vor Ort eine Übernachtungsmöglichkeit finden? Da hatte ich im abseitigen Shin-Aomori wohl bessere Karten.
Bis man es abwählt, liefert HyperDia für die Gesamtverbindung fast nur Reisevorschläge mit Inlandsflügen.
Über eine einzige Auskunft “Shiretoko-Shari nach Yonezawa” liefert Hyperdia die schnellste Verbindung eigenartigerweise nicht, aber die zunächst vorgeschlagene Verbindung ließ sich schon nicht mehr reservieren, weil der Teil ab Shin-Aomori ausgebucht war, in Asahikawa ließ ich mir deshalb erstmal nur die drei Reservierungen bis Shin-Aomori geben, für den Rest musste ich nochmal recherchieren. In diesem Fall ein Glück, so fand ich nach einigem Stochern eine Alternative, um sogar eine Stunde früher am Ziel zu sein.
So sahen meine Reservierungen aus:
Ich wäre kein Nerd, wenn ich nicht ein bisschen Statistik zu den einzelnen Zugstrecken zusammengetragen hätte:
Datum | ab | Start | an | Ziel | Zug | km | min | Ø km/h |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
02.05.16 | 11:17 | Shiretoko-Shari | 13:33 | Kushiro | JR Senmo Line | 131,8 | 136 | 58 |
02.05.16 | 13:39 | Kushiro | 17:22 | Minami-Chitose | Super-Ozora 8 | 304,5 | 223 | 82 |
02.05.16 | 18:41 | Minami-Chitose | 21:39 | Shin-Hakodate-Hokuto | Hokuto 22 | 256,8 | 178 | 87 |
02.05.16 | 21:59 | Shin-Hakodate-Hokuto | 23:05 | Shin-Aomori | Hayate 100 | 148,8 | 66 | 135 |
03.05.16 | 06:17 | Shin-Aomori | 07:50 | Sendai | Hayabusa 4 | 361,9 | 93 | 233 |
03.05.16 | 08:05 | Sendai | 08:31 | Fukushima | Yamabiko 124 | 79,0 | 26 | 182 |
03.05.16 | 08:50 | Fukushima | 09:24 | Yonezawa | Tsubasa 123 | 40,1 | 34 | 71 |
Bei strahlendem Wetter und mit einem leckeren Hotelfrühstück gestärkt begann ich die lange Fahrt.
Auch wenn der Bahnhof klein ist, der Schalter hat respektable Öffnungszeiten von 06:30 bis 18:00 und man kann hier auch Shinkansen Reservierungen oder andere Tickets für ganz Japan bekommen.
Die zweite Dreierserie Reservierungen Shin-Aomori–Sendai–Fukushima–Yonezawa hatte ich mir hier geholt.
Die Abfahrtstafel zeigte 7 Züge Richtung Abashiri und 5 Züge Richtung Kushiro. Dass die Züge in beide Richtungen gleichzeitig abfahren, ist kein Zufall: gleich nach dem Bahnhof wird die Strecke eingleisig.
Vorbei an weißverschneiten Bergen durchquert der Zug den Osten Hokkaidos. In der zweiten Hälfte der 131,8 km nach Kushiro wird das Land flacher, scheinbar unberührte Landschaften mit viel Gewässer prägen das Bild.
Prellböcke bestehen häufig nur aus aufgebogenen Schienen, manchmal wird auch ein Schotterhaufen daraufgeschüttet.
Ein bisschen altertümlich sieht der Führerstand des Triebwagens schon aus.
Beim Umstieg in Kushiro ließen Ankunft 13:33 und Weiterfahrt 13:39 zum Fotografieren keine Zeit. Am Fensterplatz im Super-Ozora 8 fuhr ich vorbei an dem einem oder anderen Industriegelände, Meeresküste, großen landwirtschaftlichen Betrieben, und etlichen Städten.
Danach durchquerte die Strecke bergiges Gelände, nutzte Galerien und Tunnel. In Minami-Chitose hatte ich dann eine größere Pause bis zur Weiterfahrt.
Minami-Chitose fand ich einen echt langweiligen Bahnhof. Würde es sich da nicht anbieten, dem aus Sapporo kommenden Hokuto bis Shin-Sapporo entgegenzufahren? Oops, das wäre fast schiefgegangen, denn dieses Stück Strecke ist ziemlich lang, aber ich habe ihn gerade noch erwischt, um 18:19. In Shin-Hakodate-Hokuto dann sollten 20 Minuten Umsteigezeit großzügig bemessen sein. Aber ach, auf der Strecke bleibt der Zug plötzlich stehen. Nach einer Weile eine Durchsage, die ich natürlich nicht verstehe. Aber ändern kann man so oder so nichts an der Situation. Schließlich fahren wir mit 30 Minuten Verspätung in Shin-Hakodate-Hokuto ein. Der Shinkansen Hayate 100 ist die letzte Verbindung des Tages durch den Seikan Tunnel nach Shin-Aomori – würde ich erst am nächsten Morgen dieses Stück zurücklegen, dann läge ich zwei Stunden später als meine Reservierungskette. Aber die Japaner haben schon damit gerechnet, dass hier viele Umsteiger daherkommen: der Shinkansen wartet auf uns, und das Personal weist den kürzesten Weg durch den Bahnhof. Statt 21:59 fährt der Shinkansen 22:13 ab.
Shin-Aomori war ja bis vor kurzem der Endpunkt des Shinkansen-Netzes, wie üblich ist er als Shinkansen-Bahnhof dort gebaut worden, wo die “Ideallinie” der Strecke es erfordert, weit abseits der Stadt Aomori. Um den Bahnhof herum befindet sich Industriegebiet, etliche Autoverleihe und nur eine Handvoll Wohnhäuser. Da die Nacht ohnehin kurz werden würde, wollte ich sie nicht noch durch eine Weiterfahrt nach Aomori aufzehren, noch dazu, da ich ja schon um 06:17 weiterfahren wollte. Ich hatte also vorher schon in Google Maps nach “24時間” (24 Stunden geöffnet) gesucht und fand neben Autovermietungen auch Aomori Kenkô Land, eine öffentliche Sauna, ziemlich nahe bei Shin-Aomori Station. Mit etwas Ähnlichem hatte ich ja in Korea sehr gute Erfahrungen gemacht, höchste Zeit also, es auch in Japan auszuprobieren.
Die Preisliste ist halbwegs verständlich, auch wenn ich das meiste nicht lesen kann: 3 Stunden für Erwachsene kosten 420 Yen, “Furii Taimu=Free Time 24 Stunden” 1000 Yen, und irgendwas 11-5 Uhr 870 Yen extra. Von anderen solchen Preistafeln habe ich in Erinnerung, dass es sich dabei um eine “Late Night Charge” handelt, die fällig ist, wenn man in den genannten Nachtstunden ein- oder auscheckt, so steht sie auch nicht im Widerspruch zu den 24 Stunden für den Basispreis. Da ich erst gegen Mitternacht ankam, war ich davon natürlich betroffen. Ein separater Aushang ergab dann noch, dass wegen Golden Week aus den 870 1740 Yen werden, und sich auch die 1500 für “Puraibeetoruumu”=Private Room zu 3000 verdoppelten. (Shingeru = Single, Tsuin = Twin)
Ja mei, das ergab dann also 2740 Yen für die Übernachtung mit Spa/Saunabenutzung. Das Fotoverbot habe ich natürlich brav eingehalten, daher gibt es keine Bilder von drinnen.
Am nächsten Morgen etwas übernächtigt aber entspannt einen Supermarkt für was essbares aufgesucht (die Sauna hat auch ein Restaurant, aber ich glaube so früh hatte das nicht auf) und wieder Richtung Bahnhof geschlendert. Nachdem das nun ein Durchgangsbahnhof ist, scheint die Gegend attraktiver geworden zu sein und es wird einiges gebaut, auch viele der Häuser sahen recht neu aus.
Rechtzeitig für den Hayabusa 4 um 06:17 war ich am Bahnsteig. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt auf den ersten knapp 180 km bis Morioka 260 km/h, ab da bis Utsunomiya 320 km/h. In Sendai musste ich in einen langsameren Shinkansen umsteigen, weil der Hayabusa durch Fukushima durchfährt, und in Fukushima dann in den Tsubasa 123. Von Tokyo bis Fukushima fahren Tsubasa 123 und Yamabiko 123 gekoppelt zu einem Zug mit 17 Wagen, hier zweigt der Tsubasa Richtung Yamagata ab, Yonezawa ist gleich der nächste Halt.
Der Yamagata-Shinkansen wird auch als Mini-Shinkansen bezeichnet. Seine Nebenstrecke wurde nicht neu gebaut, sondern nur auf Normalspur umgerüstet, das gleiche gilt für den Akita-Shinkansen. Da nur die Spur verändert wurde, gilt ein kleineres Lichtraumprofil als bei den Shinkansen-Strecken. Daher sind die Wagen schlanker und haben nur 4 Sitze pro Reihe. Auf der Hauptstrecke fahren Trittbretter aus, die den Abstand zwischen den Türen des schmäleren Zuges und dem Bahnsteig überbrücken.
Um 09:24 komme ich schließlich in Yonezawa an. Da Gleis 1 direkt vom Bahnhof aus erreichbar ist, werden die Shinkansen in beide Richtungen auf dieses Gleis geführt (das Display zeigt nach meinem Zug, der bis Shinjô weiterfährt, einen Zug nach Tôkyô 11 Minuten später an), und der Shinkansen teilt sich den Bahnsteig mit anderen Zügen. Die Wagennummern 11-17 bleiben nach der Zugtrennung unverändert, Wagen 1-10 gibt es also hier nicht, entsprechend kürzer kann der Bahnsteig ausfallen. Im Gegensatz zu den Hauptlinien gibt es hier auch keine separaten Shinkansen-Sperren.
Damit endet eine Bahnfahrt von insgesamt 1322,9 Kilometern. Der schnellste Zug war der Hayabusa mit durchschnittlich 233km/h, der langsamste der JR Senmo Line mit 58km/h. Der reguläre Fahrpreis dafür wäre 30530 Yen gewesen - mehr als die Hälfte des Preises für den Drei-Wochen-Railpass!
Über das hier stattfindende Uesugi Matsuri habe ich ja schon berichtet.
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